Gastauftritte
Markus Schiebold:
„Der Schein
trügt“
Anlässlich
des Kommentars vom 15.7.2004 zum Zitat von Bill
Clinton:
„Ich kämpfte während meiner gesamten
Amtszeit
für eine bessere Welt“
Dieses Zitat
des amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton ist Anlass für den
Kommentar
vom 15. Juli 2004. Zwei der Thesen möchte ich entschieden widersprechen.
Im mittleren
Abschnitt des Textes ist davon die Rede, dass große Visionen ihren Ursprung
immer in Instabilität,
Unsicherheit
und menschlichem Leid hätten. Diese Faktoren sind zweifelsohne idealer
Nährboden
für Visionen, da sie zum einen einzelne dazu bringen, unmenschliche Kräfte
zu entfalten
und mit
diesen nicht für möglich gehaltene Veränderungen herbei zu führen. Zum anderen
sind
Menschen,
die unter solchen Umständen leiden, viel offener für radikale Visionen, weil
sie so wenig
zu verlieren
haben. Diese Mechanismen haben wir im Guten wie im Schlechten in der Vergangenheit
erlebt,
ich denke nur an Gandhi und Hitler. Diese Faktoren sind aber bei weitem nicht
die einzige
Wurzel für
Visionen. Auch Schaffensdrang, Werte und Ideale, Moralvorstellungen, Wahn,
Besessenheit,
Gier, das
Unbekannte oder ein Kombination von all dem kann Triebfeder einer Vision
sein.
Die großen
Entdecker Vasco da Gama und Kolumbus wollten nicht nur neue Handelsrouten
erkunden
sondern
sie wollten bis an das Ende der Welt reisen und neue Welten entdecken, die
kein
Mensch vor
ihnen gesehen hatte. John F. Kennedy wurde nicht nur wegen des riesigen
Familienvermögens,
einer langen Planungsphase und eines gewaltigen Netzwerkes zum Präsident
der Vereinigten
Staaten, JFK wurde vor allem Präsident, weil er wie kein anderer den
amerikanischen
Traum verkörperte und diese Vision von einem besseren Amerika allen versprach.
Triebfeder
dieser Vision waren das Streben nach Macht, der Wunsch ein neues Amerika
zu schaffen
und den
Kennedy-Clan in der Erinnerung aller Amerikaner unsterblich werden zu lassen.
Eine Vision
muss ihren Anfang somit nicht immer in Instabilität, Unsicherheit und menschlichem
Leid nehmen,
sondern kann ihren Ursprung in einer Vielzahl weiterer Gründe haben.
Aufbauend
auf dieser Annahme möchte ich mich nun der zweiten These nähern. Zu Beginn
des zweiten
Abschnitts
hält der Kommentar fest, dass die Zeit der großen Vorhaben und Umgestaltungen
der Welt vorbei
zu sein
scheint. Auf den ersten Blick könnte man meinen, mit der Überwindung des
Kalten Krieges, des Zusammenbruchs
des Ostblocks
und der Einigung Europas wären die großen Konflikte unserer Zeit überwunden
und Alltag
und Langweile an der Tagesordnung. Diese Sicht der Dinge halte ich für geradezu
fatal.
Nur weil
man schwerwiegende politische, gesellschaftliche, ökonomische und ökologische
Probleme
und damit
verbundene kurz- und mittelfristig Veränderungen nicht so offensichtlich
wahrnimmt, wie
mehrere
Millionen bis an die Zähne bewaffnete Rotarmisten, heißt dies nicht, dass
die Bedrohungen
der menschlichen
Existenz kleiner geworden ist. Das Problem liegt viel mehr in der Sichtweise
des
Betrachters.
Keine Schmerzen zu haben heißt nicht automatisch, nicht krank zu sein. Der
Krebs kann
sich schon
lange durch den Körper fressen, ohne das man es weiß. Gesellschaften ohne
Visionen, die nur das Geschaffene
verwalten,
sind Instabilität, Unsicherheit und menschlichem Leid viel näher, als sie
selbst glauben.
Aus diesem
Grund ist die im Kommentar beschriebene Langweile in der Politik, die letzten
Endes Ausdruck
der Visionslosigkeit
unserer Politiker ist, kein großer Erfolg sondern viel mehr eine große Bedrohung.
Ich würde
mir von ganzem Herzen wünschen, dass einer der Kandidaten für die Kanzlerschaft
im Jahr
2006 antritt,
weil er aus tiefer Überzeugung während seiner ganzen Amtszeit für ein besseres
Deutschland
in einem einigen Europa kämpfen will, denn wir sind nichts – was wir suchen,
ist alles!